8.5.VOICES

CD-Projekt 2005


"Ein Tag in der Geschichte Europas"

Der Tag des Kriegsendes und der Tag danach – europäische Geschichte

Im Jahr 2005 jährte sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 60. Mal. Am 8. Mai wurde durch das nationalsozialistische Deutschland die bedingungslose Kapitulation gegenüber den USA in Frankreich unterschreiben, am 9. Mai gegenüber der Sowjetunion in Berlin. Was in Deutschland viele nicht wissen: Der 9. Mai war zuvor in Polen und der Ukraine – wie in anderen ehemals sowjetischen Ländern auch – ein nationaler arbeitsfreier Feiertag und wurde jährlich als „Tag des Sieges“ begangen. Inzwischen ist als Reaktion auf die russische Agression der 8. Mai als „Tag des Sieges und der Freiheit“ bzw. „Tag des Gedenkens und der Versöhnung“ nationaler Feiertag und der 9. Mai wird als Europatag gefeiert. Bei Konzerten und Gedenkveranstaltungen wird Überlebenden, Opfern und Veteranen gedacht.

Dieser Tag wurde 2005 zum Anlass genommen, ein Projekt zu veranstalten, in dem dreißig deutsche, polnische und ukrainische junge Menschen durch Zeitzeugengespräche in die Erinnerung der Geschehnisse am 8. und 9. Mai 1945 mitgenommen wurden. Zeitzeugen, die das Kriegsende als Sieger oder Besiegte an verschiedenen Orten in Europa erlebt haben, wurden eingeladen und erzählten: Wie haben sie das Kriegsende erlebt? Was geschah im Mai 1945? Wie verlief der Übergang vom Krieg zum Frieden? Wie haben die Menschen den Alltag bei Kriegsende bewerkstelligt? Was dabei empfunden?

Umgesetzt wurde das Projekt von der Aktion West-Ost im BDKJ in Kooperation mit der Jugendgruppe „Ermis" in Olsztyn/Allenstein und dem Jugendverband ROKMO in Riwne. Wir danken für die Förderung durch das Deutsch-Polnische Jugendwerk und den Wettbewerb "Frieden für Europa" der Bundesstiftung "Erinnerung - Verantwortung - Zukunft".

Das Erzählte wurde als Tonmaterial aufgenommen und zu einer Zeitzeugen-CD, die es in drei Sprachen zu hören gibt, zusammengestellt. Dieses Tonmaterial ist jetzt auf dieser Website zugänglich.

Das Projekt im Jahr 2005

Das Projekt fand in zwei Teilen statt: Der erste Teil waren zwei Wochenenden, die für die deutschen und polnischen Projektteilnehmer*innen jeweils in ihrem Land stattfanden. In Olsztyn, Polen, wurden sechs Zeitzeugen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen interviewt: Die Region, in der Olsztyn liegt, Warmia i Mazury (Ermland und Masuren), gehörte bis zum Kriegsende zu Deutschland und wurde dann in Polen eingegliedert. Menschen mit sehr unterschiedlicher Geschichte und Herkunft wohnen heute dort. Zeitzeugen, die aus dem Gebiet von Vilnius, damals Polen, heute Litauen, stammen und Mitglieder der polnischen Heimatarmee waren; Zeitzeugen, die als Deutsche in Polen blieben, und Zeitzeugen, die als Ukrainer durch die „Aktion Weichsel“ zwangsumgesiedelt wurden.

Die deutschen Teilnehmenden trafen sich in Düsseldorf mit fünf Zeitzeugen. Drei erzählten von ihren Erinnerungen an die Bombennächte in Düsseldorf. Zwei der Zeitzeugen stammen aus Ostpreußen und berichteten über Flucht, Vertreibung und Aussiedlung.

Der zweite Teil des Projektes fand in Riwne, einer Stadt in der Westukraine, statt. Die deutschen und polnischen Teilnehmenden reisten gemeinsam zunächst nach Lwiw (Lemberg), trafen dort zum ersten Mal die ukrainischen Teilnehmenden und sammelten anfängliche Eindrücke von der Ukraine. Von Lwiw aus ging es dann nach Riwne, wo die folgenden acht Tage verbracht wurden. In Riwne gab es eine Einführung in die örtliche Geschichte: Die heute ukrainische Stadt gehörte einst zu Polen, stand aber zeitweise auch unter deutscher Verwaltung; Juden sowie orthodoxe und katholische Christen lebten dort nebeneinander.

Die Zeitzeugen erzählten sehr offen über ihre Vergangenheit, Erlebnisse und Erinnerungen: Die Familien von zwei Zeitzeuginnen kämpften in der Ukrainischen Widerstandsarmee (UPA) und verloren durch Folter, Verschleppung und Erschießung viele ihrer Familienangehörigen. Ein Zeitzeuge gab Eindrücke aus seiner Zeit als Soldat in der Roten Armee, er war Frontoffizier bei der Eroberung von Königsberg. Der vierte Zeitzeuge hatte Erinnerungen unter anderem an den Bau des Konzentrationslagers „Sobibor“ in der Nähe seines Wohnortes.

Der 9. Mai 2005 in Riwne

Am 9. Mai 2005, damals in der Ukraine als „Tag des Sieges“ gefeiert, besuchte die Gruppe gemeinsam die Parade, die zur Feier des Tages veranstaltet wurde. In der Parade, angeführt von einem Panzer, liefen Kriegsveteranen, Soldaten und fahnenschwenkende Angehörige verschiedener Parteien mit. Das Ende der Parade war ein Friedhof mit einem großen Denkmal, wo einige Reden gehalten und in einer Schweigeminute der Opfer des Zweiten Weltkrieges gedacht wurde.

Die Arbeit mit dem Material

Alle Zeitzeugengespräche wurden als Audiodateien aufgenommen und nach Abschluss der Gespräche mit den Zeitzeugen fingen die Teilnehmenden an, das Material zu sortieren, zu schneiden, die ausgewählten Passagen aufzuschreiben und zu übersetzen. Alle Zeitzeugen sollten auch in den jeweils anderen beiden Sprachen zu hören sein.
Die Entscheidung, welche der vielen Passagen aus den umfassenden erzählten Erinnerungen ausgewählt werden soll, fiel sehr schwer – die Aufgabe der Teilnehmenden war es, Gespräche, die über ca. zwei Stunden gingen, auf fünf bis acht Minuten zu kürzen und zu kommentieren. Andere kümmerten sich darum, das Layout für die CD zu entwerfen und Zusatzinformationen zu sammeln.
Bei der Arbeit am Material selbst entstanden viele Diskussionen und Fragen zu historischen Themen, vor allem zur Lage der einzelnen Zeitzeugen, die für die Hörenden der CD kurz dargestellt werden mussten. Sätze wie „Was heißt denn ‚Kinder-Landverschickung’ auf Polnisch?“ oder „Wer kann mir in einem Satz erklären, was die UPA ist?“ waren oft in den Arbeitsräumen zu hören.
Nachdem die Zeitzeugengespräche übersetzt waren, wurde angefangen, die Sprecher*innen, die die Texte in den anderen Sprachen für die CD lesen sollten, aufzunehmen. Diese Aufnahmen wurden dann über die Originalaufnahmen eingespielt, sodass auf der CD sowohl die Stimmen der Zeitzeugen als auch die Übersetzung in die eigene Sprache zu hören sind.

 

Stimmen von Teilnehmenden 2005

„Erst wenn man viel voneinander weiß, kann man gemeinsam gedenken.“

„Der 9. Mai ist für mich – nach diesem Projekt – eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft Europas. Eine Brücke, deren Pfeiler wir sind, die Jugend. Es hängt von uns ab, ob die Erfahrungen unserer Großeltern zu den Erfahrungen unserer Enkel werden.“

„Dank der verschiedenen Erfahrungen der Zeitzeugen, die den Krieg erlebten, habe ich jetzt ein klares Bild davon, wie schrecklich es war, und dass es sich nie wieder wiederholen soll.”

„Mein Gewinn aus dem Zeitzeugenprojekt ist eine Erweiterung meines persönlichen Erlebens und Vorstellungsvermögens bezüglich der Geschehnisse des 2. Weltkriegs. Durch das Hören persönlicher Schicksale wird Geschichte lebendig. Fakten und Hintergründe geraten weniger schnell in Vergessenheit.“